Wie die Kassen den Begriff „schwerwiegend“ uminterpretieren

In Deutschland bezahlen die Krankenkassen, dank eines neuen Gesetzes, eine Cannabistherapie. Wer chronisch Krank ist und an ADHS, Tourette oder chronischen Darmerkrankungen leidet, hat Pech. Bei diesen Krankheiten lehnen die Krankenkassen die Anträge auf eine Übernahme von Kosten ab. Der Grund liegt in einer Definitionslücke seitens des Gesetzgebers. Diese Lücke lässt in der Praxis unterschiedliche Interpretationen des Begriffs zu. Laut einer Handreichung von Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein werden solche „unbestimmten Rechtsbegriffe“ bezüglich der Interpretation schlussendlich von den Gerichten überprüft.

Schwerwiegend gleich lebensbedrohlich?

Eine Interpretation basiert auf der Auslegung des Gemeinsamen Bundesausschusses, ein Gremium welches über Leistungsansprüche im Gesundheitswesen entscheidet.

So entschied der Ausschuss in der Richtlinie von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung:

Eine Krankheit ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt.

Anhand dieser Definition lehnen Krankenkassen die Kostenübernahme für Cannabisarzneien ab. Diese argumentieren, dass diese spezifischen chronische Krankheiten nicht lebensbedrohlich sind. Die Kostenübernahme bleibt damit vielen chronisch Kranken verwehrt.

Der Nachweis der Alternative, einer auf Dauer beeinträchtigten Lebensqualität, ist für Patient und behandelndem Arzt schwer oder unmöglich zu erbringen.

Diese Variante der Interpretation, erleichtert es den gesetzlichen Krankenkassen Anträge auf eine Kostenübernahme für Cannabisarzneien abzulehnen. Diese Regelung benachteiligt Patienten. Eine Cannabistherapie kann unter Umständen mehrere Tausend Euro im Monat kosten. Die wenigsten chronisch Kranken können diese Kosten aufbringen. Das neue Gesetz sollte diese Problematik beseitigen. Cannabis-Patienten sind auf die Solidargemeinschaft des Gesundheitswesens angewiesen.

Gesetzgeber WOLLTE Zugang zu Cannabis-Therapien erleichtern

Die zweite Definition ist wesentlich patientenfreundlicher. Diese Interpretation basiert auf den extra für Cannabistherapien entworfenen neuen Absatz im §31 SGB V Abs. 6. In einem früheren Entwurf zu diesem Gesetzestext war die Rede von „schwerwiegend chronisch Krank“. Dies bedeutet, dass Patienten die Chroniker-Richtlinien hätten erfüllen müssen um einen Anspruch auf Kostenübernahme zu haben. Jedoch hat der Gesetzgeber die Wortwahl zu „schwerwiegend Krank“ geändert. Dies ermöglicht Patienten den schnellen Zugang zu einer Cannabis-Therapie, da unnötige Wartezeiten vermieden werden. So heißt es in der Begründung zu der geänderten Wortwahl:

Die Versorgung von Versicherten mit schwerwiegenden Erkrankungen soll durch den Anspruch auf Versorgung mit Cannabis […] verbessert werden. Die Genehmigungsanträge bei der Erstverordnung der Leistung sind daher nur in begründeten Ausnahmefällen von der Krankenkasse abzulehnen.

Diese Korrektur durch den Gesetzgeber ist ein klares Indiz, dass dieser den Zugang zu Cannabistherapien erleichtern will, nicht erschweren.

Weiter heißt es: „Damit [Der Änderung von chronisch zu schwerwiegend] wird auch der Bedeutung der Therapiehoheit des Vertragsarztes oder der Vertragsärztin Rechnung getragen“. Das bedeutet, dass der behandelnde Kassenarzt über Sinn und Zweck einer Cannabistherapie zu entscheiden hat. Die Krankenkassen sollen sich beim Antrag auf Kostenübernahme auf die Beurteilung des behandelnden Kassenarztes verlassen.

Laut CDU/CSU Fraktion soll sich „mit diesem Gesetzentwurf […] die Versorgung der Patienten mit Cannabis für ausschließlich medizinische Zwecke deutlich verbessern“.

Dieser Beschluss resultiert daraus, dass Cannabismedikamente die Lebensqualität des Patienten steigern können, indem es Symptome lindert und somit das Leben lebenswerter macht. Dr. Tolmein schreibt dazu:

„Schwerwiegende Erkrankung“ muss daher im Kontext des § 31 Abs. 6 SGB so ausgelegt werden, dass es vor allem um eine Einschränkung der Lebensqualität geht. Dies wird auch durch den Gesetzeswortlaut und die Gesetzesbegründung deutlich, die eindeutig auf den Nutzen hinsichtlich der Symptome abstellen.

Entweder die Kassen lenken ein oder die Gerichte schaffen Gerechtigkeit

Die unterschiedlichen Interpretationen haben ein unübersehbares Chaos an Ablehnungen und Genehmigungen produziert. Des weiteren entstammt die Interpretation, welche eine Ablehnung der Kostenübernahme erleichtert, einer nicht-staatlichen Einrichtung die nur über Normbefugnisse verfügt. Jene Interpretation verstößt gegen geltendes Recht. Um die Versorgung der Patienten zu verbessern, hat der Bundestag die Rahmenbedingungen einer Cannabistherapie in einem eigenen Paragraphen nieder geschrieben. Patienten erstreiten nun, ihr gutes Recht einmal mehr vor Gericht.

Viele Betroffene sind nun gezwungen gegen diese Ablehnungen vorzugehen. Dies nimmt Zeit, Nerven und Geld in Anspruch. Dinge die viele chronisch Kranke nicht im Überfluss besitzen.