Der Einsatz von Cannabis als Medizin kann bei zahlreichen Erkrankungen sinnvoll sein. Die Frage danach welche Diagnosen wohl am wichtigsten sind, kann verschiedene Fragestellungen meinen und lässt sich sehr unterschiedlich beantworten.
- Welchen Patienten könnte Cannabis theoretisch am meisten helfen? Muss die Qualität der Datenlage hier berücksichtigt werden?
- Welche Patienten, die einen Zugang erlangen können, hilft es am meisten?
- Zählt der durchschnittliche Nutzen pro Patient mit der jeweiligen Diagnosen oder der Nutzen multipliziert mit der Anzahl der Patienten?
Zur Beantwortung können unterschiedliche Daten über den heutigen Einsatz genutzt werden:
Da wären zum einen die Hauptdiagnosen der Inhaber einer Ausnahmeerlaubnis für den Erwerb von Cannabisblüten. Diese sind in diesem Artikel in meinem alten Blog genannt und visualisiert.
Es gibt unterschiedliche Studien zu den Diagnosen von Cannabis-Patienten in bestimmten US-Bundesstaaten oder anderen speziellen Gruppen.
Diese Daten sind meist durch Faktoren wie die Rechtslage und nicht unbedingt die medizinische Notwendigkeit geprägt.
Die wichtigsten Anwendungsgebiete von Cannabis-Medikamenten in der Praxis
Die Frage nach den wichtigsten Diagnosen lässt sich nicht 100% klar beantworten. Für meine praktische Arbeit ist eine solche „Masterliste“ sehr nützlich, da dies z.B. die Diagnosen sein werden für die zuerst Materialen erstellt werden sollten.
Diese Liste sollte nicht davon ablenken dass eine Stärke von Cannabis die bemerkenswerte Breite der Einsatzmöglichkeiten ist.
In Zusammenarbeit mit Dr. Eva Milz habe ich eine Liste der Diagnosen erstellt, die in Deutschland und mit der neuen Rechtslage aktuell und in naher Zukunft praktisch die größte Relevanz haben werden. Über die eine oder andere Diagnose mehr oder weniger sowie das ad-hoc von mir erstellte Ranking kann man im Detail diskutieren. Als erste Näherung kann diese Liste ihren Zweck erfüllen.
Die Liste umfasst sowohl eigenständige Krankheiten als auch Symptome wie Schmerzen oder Schlafstörungen, die unterschiedliche Ursachen haben können. In Angaben in Klammern sind Beispiele und keine abschließende Liste.
- Chronische Schmerzen (Neuropathien, Cluster-Kopfschmerzen, Migräne, Rheuma, Fibromyalgie)
- Epilepsie, Tourette-Syndrom, Multiple Sklerose
- ADHS, Angststörung, Depressionen, PTBS
- chronisch-entzündliche Erkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Rheuma, Asthma, Psoriasis (Schuppenflechte))
- Appetitlosigkeit und Abmagerung sowie Übelkeit und Erbrechen bei Krebs, HIV und AIDS
- Glaukom, Schlafstörungen, Neurodermitis, Reizdarm
Platz 1: Chronische Schmerzen
Egal wie oder wem man die Frage nach den wichtigsten Diagnosen stellt, Schmerzen werden ganz oben auf der Liste stehen. Egal ob Ausnahmegenehmigungen in Deutschland oder registrierte Patienten in Colorado, auch praktisch machen Schmerzpatienten mindestens die Hälfte und die Mehrheit der Patienten aus. Die Ursachen der Schmerzen können allerdings sehr unterschiedlich sein.
Nicht alle Arten von Schmerzen lassen sich gut mit Cannabis behandeln. Bei akuten Schmerzen hilft Cannabis selten, manchmal verstärkt es die Wahrnehmung des Schmerzes sogar. In einigen Fällen hilft Cannabis gegen die Schmerzen selbst und zusätzlich gegen die Erkrankung, die die Schmerzen erzeugt. In anderen Fälle hilft es nur indirekt über eine Wirkung bei der Grunderkrankung, dafür kann es hier eher akut helfen.
Cannabis kommt insbesondere bei folgenden Indikationen zum Einsatz: Neuropathien, Cluster-Kopfschmerzen und Migräne sowie Schmerzen aufgrund von Erkrankungen wie Rheuma oder Fibromyalgie.
Zudem können Cannabis eine Schmerztherapie mit Opiaten unterstützen. Durch ein Zusammenwirken der beiden Medikamente können Dosis und damit Nebenwirkungen deutlich vermindert werden.
Platz 2: Fachbereich Neurologie – Epilepsie, Tourette-Syndrom, Multiple Sklerose
Bei MS ist der Einsatz des Cannabis-Medikamentes Sativex inzwischen etabliert. Der Schritt hin zu Cannabisblüten dürfte einem Neurologen leichter fallen als Kollegen anderer Fachrichtungen. Die Bedeutung von Tourette geht auch auf der Engagement einer einzelnen Ärztin zurück. Epilespie, insbesondere bei Kindern ist in den USA und für die Forschung ein aktives Gebiet.
Platz 3: Fachbereich Psychiatrie – ADHS, Angststörung, Depressionen, PTBS
Im Gegensatz zur Neurologie sind die Ärzte aus dem benachbarten Fachbereich der Psychiatrie überdurchschnittlich skeptisch was den Einsatz von Cannabis angeht. Die Relevanz von psychiatrischen Erkrankungen in Deutschland liegt im Vergleich zu anderen Ländern weit über dem Durchschnitt. Sie ist ein Ergebnis der alten Rechtslage („Ausnahmeerlaubnis“) und dem besonderen Engagement von Dr. Milz.
Platz 4: Patienten mit Krebs, HIV und AIDS – Appetitlosigkeit und Abmagerung sowie Übelkeit und Erbrechen
Ob Cannabis bei der Grunderkrankung dieser Patienten wirksam ist ungesichert bis fraglich. Der Einsatz als Mittel gegen bestimmte Auswirkungen der Erkrankung und der Nebenwirkungen der Therapie ist jedoch anerkannt und verbreitet – im Vergleich zum Einsatz von Cannabis als Medizin insgesamt. Cannabis kann bei diesen Diagnosen lebensrettend sein, da bei einigen Krebsarten die Auszehrung für einen hohen Anteil der Todesfälle verantwortlich ist.
Als Unterstützung der eigentlichen Therapie von HIV/AIDS und von Krebs kann es indirekt Einfluss auf die Grunderkrankung nehmen. Hier wie auch bei anderen chronischen Erkrankungen ist die Therapietreue der Patienten ein relevanter Faktor für die Wirksamkeit der Behandlung. Jede positive Wirkung von Cannabis, sei es die Minderung von Symptomen, der Nebenwirkungen der Medikamente direkt oder indirekt über die Möglichkeit der Dosisreduktion etc. kann Leben retten und ggf. zur Heilung beitragen.
Platz 5: chronisch-entzündliche Erkrankungen
Die Gruppe der chronisch-entzündlichen Erkrankungen und die sich damit überscheidende Gruppe der Autoimmunerkrankungen sind aufgrund der pharmakologischen Wirkung von Cannabinoiden und der Funktion des körpereigenen Endocannabinoid-System generell ein mögliches Einsatzgebiet von Cannabis. Sie treten beispielsweise in den Gelenken und dem Darm auf, z.B. bei Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder Rheuma. Weitere Beispiele sind Asthma, Psoriasis (Schuppenflechte) sowie Erkrankungen wie MS oder mit dem Symptom Schmerzen, die bereits zuvor genannt wurden.
Weitere wichtige Diagnosen und Symptome
Hier wäre die Diagnose Glaukom zu nennen, die quasi Volkskrankheit Schlafstörungen, die Neurodermitis, die teilweise auch zu den chronisch-entzündlichen Erkrankungen gezählt wird sowie Darmerkrankungen aus der Gruppe des Reizdarmsyndroms, die auch chronisch-entzündlich oder Symptom einer oben genannten Erkrankung sein können.